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Der Maler

Inmitten von Leinwand und Farbtöpfen, zwischen Pinseln, Skizzen und gedankenübersäten Papierfetzen stand DER MALER.


Seine Augen wirkten müde, aber keineswegs leer. Die Ringe darunter waren eine Spur dunkler als gewöhnlich und der Bart schien um einige weiße Haare reicher geworden zu sein. Seit Nächten hoffte er, ein Ideensamenkorn möge aufgehen, ganz zaghaft den ersten Spross ins Licht des beginnenden Tages strecken, wachsen und durch fleißiges Gießen, Hegen und Pflegen zu einem stattlichen Kunstwerk werden.


Keine Künstlichkeit, sondern Aussage, Botschaft, Hilfe und vielleicht sogar Trost sollte es beinhalten. Doch so sehr er auch grübelte, seine Stirn in Falten legte, er förderte einfach keine „weltbewegenden“ Themen zutage.


Ein Monument musste es werden, das alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte.
Aufzeigen sollte es, anklagen. – Eine Hymne an die Menschlichkeit. – Und dafür, so dachte der alte Mann, brauch man natürlich eine ganze Menge Zutaten:
Einen großen Topf blutroten Krieges, die braunrote Farbe der afrikanischen Erde, die sich als Staubkorn in die großen Augen hungernder Kinder schleicht, einen ausgefransten Borstenpinsel um die Folter auf die Leinwand zu bringen, einen Topf von diesem neuen Braun, das vor vielen Jahren schon einmal so modern gewesen war, und das sich so gut mit Blau mischen lässt.


Ein fahles Gelb für den Neid, ein krankes Grün für die sterbende Natur und ein fast durchsichtiges Weißlich-Blau für die Tränen, ganz unten am Bildrand.
Groß sollte es werden, erhaben und gegenwärtig. – Ein Lebenswerk!


Alles war bereitgestellt, sogar ein Dunkelschwarz für die Trauer. Nur eines fehlte dem alten Mann: Ein Entwurf – der Samen, um das Bild vor seinem geistigen Auge erstehen zu lassen. Und mitten im eifrigsten Grübeln, mitten am Vormittag läutete es an der Tür.


„Hallo!“, sagte Ricco.
„Hallo!“; erwiderte etwas mürrisch der Maler.
Ricco, ein elfjähriger Junge aus dem Nachbarhaus, kam öfter um dem Maler stundenlang zuzusehen, wie das aufdringliche Weiß der Leinwand zurückgedrängt wurde durch die Hand, die es so vorzüglich verstand, die Gedanken des Malers in Bilder zu fassen.


„Du siehst müde aus, unzufrieden und schlecht gelaunt.“ diagnostizierte Ricco und der alte Mann erzählte ihm von dem Problem, das ihn seit Nächten beschäftigte.


„Das ist ganz einfach“, sagte der kleine Mann, „es hätte keinen Sinn, ein solches Bild zu malen und darum wehrt sich auch dein Innerstes damit zu beginnen. Du kannst den Großen nicht einfach ein riesiges Werk vor die Nase setzen und dann darauf warten, dass sie es begreifen und sich womöglich auch noch ändern. Es ist genauso, wie in dir ein Bild entsteht. Versuche in jedem deiner Bilder irgendwo ein kleines, unscheinbares Samenkorn zu verstecken. Wenn die Menschen deine Bilder anschauen, wird die Saat den Weg in die Herzen finden. Und dort kann das Korn nur hinein, wenn es klein genug ist. Dort ist es an der Zeit zu wachsen und für Veränderungen zu sorgen.“


Der kleine Mann wurde immer leiser mit seinen Worten, bis er schließlich ganz verstummte.
Der alte Mann schien weit fort zu sein, mit seinen Gedanken, so als hätte er gar nicht zugehört.


Doch plötzlich hob er den Kopf, der ihm auf die Brust gesunken war und sagte verstehend:
„Ich war ein Narr, wollte die Menschheit mit einem einzigen meiner Bilder aufrütteln, wachschütteln, zum Handeln veranlassen. Du hast recht, es war töricht, obwohl ich es hätte wissen müssen.“


Und der alte Mann fing an, kleine Samenkörner in seine Bilder zu säen und nach Jahren merkte er, die Saat begann aufzugehen.

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